Bonner Querschnitte 30/2017 Ausgabe 491

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Menschenhandelsexperte besucht Ziegelei-Sklaven in Lahore

(Bonn, 21.08.2017) Der Präsident des Internationalen Rates der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte und Autor des Buches ‚Menschenhandel‘ hat in der Nähe von Lahore in Pakistan Ziegeleien aufgesucht, in denen Sklaven unter unwürdigsten Umständen Ziegel herstellen.

„Ich habe schon viel Übles in der Welt gesehen, aber das gehörte wirklich mit zum Schlimmsten“, äußerte Schirrmacher anschließend. Besonders schockiert habe ihn, dass kleine Mädchen ihre Mütter nachahmten, indem sie von morgens bis abends über die von den Vätern geformten Steine kröchen und diese zum Trocknen umdrehten. Statt zur Schule gehen zu dürfen, wüchsen sie mit dem Bewusstsein auf, dass das das wahre Leben sei. Deswegen gäbe es auch keine Wachen, die Sklaven würden sowieso nicht davonlaufen.

Die Sklaven gehören fast ausschließlich zu den sog. Dalits, früher Kastenlose oder Unberührbare genannt. Die meisten sind Hindus oder Muslime, viele sind aber auch Christen. Diese seien doppelt diskriminiert, so Schirrmacher, weil sie mitten in der unwürdigen Sklaverei oft noch von muslimischen Sklaven und sowieso von Sklavenhaltern vergewaltigt, der Blasphemie beschuldigt, gefoltert und umgebracht würden.

Die pakistanische Rechtsanwältin Aneequa Anthony, Vorsitzende der pakistanischen Partnerorganisation der IGFM, „The Voice“, zeigte Thomas und Christine Schirrmacher den Ort, an dem 2014 ein Ehepaar bei lebendigem Leib in den Ziegelofen geworfen wurde. Anthony vertritt die drei Waisenkinder vor Gericht. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte und das Bonner Hilfswerk Gebende Hände gGmbH unterstützen die Arbeit der Rechtsanwaltsvereinigung, die sich für religiöse Minderheiten in Pakistan einsetzt.

Es gibt gemäß der australischen Walk Free Foundation und ihrem jährlichen Global Slavery Index 2016 45,8 Mio. Sklaven weltweit. 58% aller Sklaven leben in 5 Ländern: Indien, China, Pakistan, Bangladesh und Usbekistan, alle in der Region von und um Pakistan. Die höchsten Prozentsätze an Sklaven finden sich in Nordkorea (4,373), Usbekistan (3,973), Kambodscha (1,648), Indien (1,403) und Qatar (1,356).

Deutschland liegt mit 15 anderen westlichen Demokratien (vor allem Westeuropa, USA, Neuseeland) auf dem Platz mit dem geringsten Prozentsatz an Sklaven. Im globalen Süden hat Brasilien diesen Platz inne, in der Gruppe derer, die auf Platz 2 liegen, mit 0,078%.

In Pakistan sind nach diesem Index 1,13% der 188.925.000 Einwohner Sklaven, also 2.134.900. Auch von verschiedenen anderen Quellen wird die Zahl von 2 Mio. Sklaven in Pakistan geschätzt.

1990 entschied der Oberste Gerichtshof im Urteil Darshan Mashih vs State (1990), dass Schuldknechtschaft verboten und mit der Verfassung nicht vereinbar sei. Daraus folgte dann 1992 der Bonded Labour System (Abolition) Act. Geändert hat sich seitdem fast nichts.

Hauptproblem ist, dass das verschachtelte System vom Besitzer/Unternehmer über Subunternehmer hin zu den Sklaven am Ende von örtlichen Gerichten und der Polizei geschützt wird. Die Polizei inhaftiert geflohene oder protestierende Sklaven oder lässt gleich private Gefängnisse zu.

Typisch ist, dass selbst verhältnismäßig kleine geliehene Summen von zum Beispiel 75 $ nie abgezahlt werden können, sondern zu lebenslanger Abhängigkeit führen, ja an die Kinder vererbt werden, die dann Sklaven bleiben, obwohl das Vererben solcher Schulden gesetzlich verboten ist.

Solche Sklaverei gibt es in der Teppichweberei, der Landwirtschaft, aber in den meisten Fällen in der Ziegelherstellung, die sich im Umland aller Großstädte in Pakistan findet. Eine Familie muss dabei pro Tag 1000 Ziegel von Hand herstellen. Jeder fehlende oder zerbrechone Ziegel wird vom Lohn abgezogen. Die Unternehmer kaufen abgelegene Grundstücke, die den nötigen Schlamm haben und wo die geformten Ziegel zu großen Öfen zusammengeschichtet werden können. Die Sklaven leben solange auf diesen Grundstücken in erbärmlichen Verhältnissen und müssen natürlich Miete bezahlen.

Im Umfeld der Sklaverei finden weitere Verbrechen statt. Schon kleine Kinder müssen helfen und können keine Schule besuchen. Die Kindersterblichkeit ist vor allem wegen des verdreckten Trinkwassers hoch. Ich habe Kinder im Vorschulalter gesehen, die neben ihren Müttern her kriechend den ganzen Tag Ziegel für Ziegel zum Trocknen umgedreht haben und denken, dass daraus das Leben besteht.

Mädchen und Frauen sind meist Freiwild und werden von den Unternehmern/Besitzern, von deren Vertragsmitarbeitern, ja oft auch von anderen Sklaven vergewaltigt, ja selbst noch in miesen Klasse-C-Gefängnissen von Polizisten und Häftlingen.


Downloads und Links:

  • Fotos:
    • Leitet Herunterladen der Datei einFoto 1: Sklaven erläutern Thomas Schirrmacher den Tagesablauf © BQ / Warnecke
    • Leitet Herunterladen der Datei einFoto 2: Die Ziegelei mit Kamin © BQ / Warnecke
    • Leitet Herunterladen der Datei einFoto 3: Sklavinnen: Mutter und Tochter beim Wenden von Backsteinen © BQ / Warnecke
    • Leitet Herunterladen der Datei einFoto 4: Das einzige Trinkwasser für die Sklaven ist völlig verdreckt © BQ / Warnecke
    • Leitet Herunterladen der Datei einFoto 5: Hier wurde ein christliches Sklaven-Ehepaar lebendig verbrannt: Michaela Koller (IGFM), Aneeqa Anthony (The Vocie) © BQ / Warnecke
    • Leitet Herunterladen der Datei einFoto 6: Hier wohnen die Sklaven © BQ / Warnecke
    • Leitet Herunterladen der Datei einFoto 7: Übergabe eines von Sklaven hergestellten Backsteins an Papst Franziskus. Von links: Michaela Koller, Aneeqa Anthony, Thomas Schirrmacher, Papst Franziskus © Osservatore Romano. Wer das Bild abdrucken will, muss unter pubblicazioni@ossrom.va um Bild 224537_22062016.jpg bitten, das auch unter www.photovat.com einsehbar ist.
  • Ein guter Artikel zur Sklaverei in Pakistan: Mehvish Muneera Ismail. „Bonded labour – modern-day slavery in Pakistan“. The Express Tribune October 2, 2017: Öffnet externen Link in neuem Fensterhttps://tribune.com.pk/story/965777/bonded-labour-modern-day-slavery-in-pakistan/
  • Wikipedia-Eintrag zur Sklaverei in Pakistan (englisch): Öffnet externen Link in neuem Fensterhttps://en.wikipedia.org/wiki/Slavery_in_Pakistan

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BQ0491.pdf

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