Bonner Querschnitte 04c/2007 Ausgabe 33c

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Pressekonferenz vom 19.04.2007, Malatya

Am Donnerstag, 19.04.2007, einen Tag nach dem Mordanschlag auf drei Christen in Malatya, lud Pastor Ihsan Özbek (Ankara), Präsident der Vereinigung protestantischer Gemeinden in der Türkei, zu einer Pressekonferenz in Malatya, die von CNN-TURK und anderen Fernsehstationen live übertragen wurde. Neben Özbek sprach u.a. auch Pastor Bedri Peker (Istanbul).

Der folgende Text ist ein Auszug aus der Pressekonferenz. Dieser Auszug findet sich als Video unter Öffnet einen externen Link in einem neuen FensterOpens external link in new windowwww.youtube.com/watch.

Pastor Bedri Peker:

Als Allianz der evangelischen Christen in der Türkei verurteilen wir den abscheulichen Angriff auf unsere christlichen Mitbürger in Malatya aufs schärfste. Verantwortlich für diese Morde, die so brutal begangen wurden, ist die Denkweise, dass Christentum und missionarische Aktivitäten feindselig seien. In manchen Hochburgen und Behörden sehen es die Leute geradezu als ihre Pflicht an, diese Feindlichkeit zu nähren. Christen werden als potentielle Verbrecher, Sektierer und Verräter hingestellt. Einige führende Regierungsmitglieder, Parteiführer und verschiedene Medienorgane nehmen die Christen ins Visier und agitieren gegen sie mit unendlicher Feindseligkeit.

Missionar zu sein bedeutet lediglich, unseren Glauben bekannt zu machen. Als christliche Bürger dieses Landes ist es unser natürliches Recht, unseren Glauben und unsere Überzeugungen im Rahmen der verfassungsmäßig garantierten Freiheiten zu praktizieren und darüber zu predigen. Wir überlassen diese Mörder und die Hochburgen des Hasses, in denen sie aufgewiegelt werden, dem Gewissen unseres großmütigen Volkes. Und schließlich erbitten und erflehen wir Frieden und Segen für unser Land und üben unseren Glauben weiterhin aus.

Pastor Ihsan Özbek:

Ja, dies ist ein Ereignis von erschreckender Brutalität, aber es kommt nicht überraschend für uns. Die Türkei ist wieder und wieder in der Finsternis des Mittelalters versunken. Die Saat der Intoleranz, des Rassismus und der Feindseligkeit gegenüber Christen wurde in der Türkei über einen sehr langen Zeitraum gesät. Nun werden die Früchte dieser Aussaat eine nach der anderen geerntet. Der Mord an dem katholischen Priester Santoro, der Mord an Hrant Dink und das Massaker von Malatya haben aus einer bestimmten Sicht heraus alle etwas gemeinsam. Es ist sehr gut möglich, dass wir nach diesen Ereignissen wieder die wohlbekannten Reden hören werden.

Wieder werden wir die Verschwörungstheorien hören. Es wird über die Verschwörungen von Geheimdiensten gesprochen werden, die in der Türkei Unruhe stiften wollen. Wieder werden wir dieser Mentalität begegnen, die den kürzesten Weg nimmt und dem Opfer die Schuld gibt. Danach, wenn der erste Schock überwunden ist, wird derselbe Chor dasselbe Lied der Intoleranz weitersingen. Sie werden fortfahren, ihre Lieder zu singen, die ihre Saat des Hasses in fruchtbare Ernte verwandeln. Ohne sich auch nur einmal den Spiegel vorzuhalten, ohne das Blut auf dem Boden wahrzunehmen, das auch sie selbst bespritzt hat, ohne jemals etwas aus dem Geschehenen zu lernen, werden sie auf demselben Weg und an demselben Punkt weitermachen wie bisher.

Es gibt heutzutage in der Türkei eine Jagd auf Missionare, die stark an die Hexenverfolgung im Mittelalter erinnert. Mit schier endloser Energie werden beinahe täglich Zeitungsartikel verfasst und Nachrichtenprogramme im Fernsehen ausgestrahlt, die über die boshaften Pläne christlicher Missionare berichten, und wie sie ihre Anhänger mit Geld erkaufen.

Dies ist eine Hexenjagd. Genau wie im Mittelalter Frauen bei lebendigem Leib verbrannt wurden, weil man annahm, sie seien Hexen; genau wie die bloße Bezeichnung als „Hexe“ jemandes Todesurteil wurde, so reicht heute schon die Bezeichnung „Missionar“ aus, um einen Menschen jeglicher Art von Beleidigung und Angriffen aller Art auszusetzen. Wie an diesem jüngsten Fall deutlich wurde, reicht es sogar völlig aus, um Menschen in die Gefahr zu bringen, auf solch unmenschliche Art und Weise getötet zu werden. Doch selbst nach diesem Ereignis, selbst nach dieser brutalen Ermordung wird es uns nicht überraschen, wenn Leute ohne jede Scham behaupten, dass diese Personen „in einer islamischen Umgebung Schnecken verkauft hätten“ (was soviel bedeutet wie: Es gibt hier keine Anwärter für das Christentum), und deswegen selbst die Täter zur Tat angestiftet hätten.

Sehr geehrte Vertreter der Presse, die Türkei steht wie in keiner früheren Epoche ihrer Geschichte einer großen Bedrohung gegenüber, und zwar dergestalt, dass in diesem Land ein Maß der Ungeduld und Intoleranz erreicht ist wie nie zuvor. Diese Kultur, die einst die Mevlanas und die Yunus’ hervorbrachte, erzeugt jetzt nur noch blinde Feindseligkeiten. Jeder sollte einmal den Hut abnehmen und darüber nachdenken, wie es dazu kommen konnte, dass „dieses Land Schlächter der Menschheit hervorbrachte“.

Es ist nun an der Zeit, sich selbst den Spiegel vorzuhalten; und jeder, der nur andeutungsweise über ein Gewissen verfügt, sollte als erstes damit beginnen, sich zu fragen: „Inwieweit trage ich selbst zu dieser Welle der Intoleranz bei?“ Die Menschen sollten sich diese Frage stellen, weil es die Frage ist, die gestellt werden muss.

Wir wissen, dass dies nicht der letzte Angriff auf Christen in der Türkei war. Wir wünschen uns, dass die Brutalität, die für den Mord an Necati, Tilman und Ugur als angemessen erachtet wurde, Anlass für die Türkei wird, sich selbst zu hinterfragen. Einzige Trostquelle für die Opfer und ihre Familien kann nach solcher Brutalität wohl nur der Umstand sein, dass diese drei die ersten Märtyrer der Christen, der Protestanten, der Missionare in der Türkei sind, die ersten christlichen Märtyrer der türkischen Kirche nach 1960. Nun wurde das Blut von Christen in der Türkei vergossen; nun sterben wir in der Türkei. Wir wollen nicht, dass noch mehr Necatis, Ugurs und Tilmans sterben.

Nach den Informationen, die wir erhalten haben, sprachen zu Beginn zwei Personen mit Ugur in dessen Büro, wir wissen jedoch nicht, was später geschah. Im Jahr 2005 gab es eine Demonstration. Dies wurde auch von den Medien verschwiegen. Die Leute wollten von der Spedition, den Versand durchgeführt hatte, die Pakete mit den Bibeln haben. Es gab eine Demonstration einer Gruppe, die ihre nationalistische Sensitivität deutlich machte. Es gab jedoch im allgemeinen keine Bedrohung in Malatya.

Das heißt, es gab keine Anträge auf Personenschutz. Die Frage danach hatte ich eigentlich erwartet.

Über dieses Thema wurde nämlich viel gesprochen. Es kam wieder auf nach dem Mord an Hrant Dink. „Gab es einen Antrag auf Personenschutz?“ Die Christen in der Türkei haben um Schutz nachgesucht. Nicht als Einzelne, nicht jeder für sich, nicht im Sinne von Leibwächtern für Necati Aydin usw. Einen solchen Antrag haben wir nicht gestellt. Aber die Christen in der Türkei haben die Regierung um Schutz gebeten. Ich spreche nicht von einem speziellen schriftlichen Gesuch. Ich meine das rein rhetorisch. Wir haben ganz allgemein um Schutz gebeten; nicht für ein bestimmtes Ereignis, sondern für alle Gelegenheiten. Dies kann nicht dadurch erreicht werden, dass man uns ständig polizeilichen Begleitschutz gibt, obwohl dies ohnehin schon meistens der Fall ist, er ist regelrechter Bestandteil unseres Lebens. Sie begleiten uns – manchmal zum Schutz, manchmal, um uns zu observieren. Aufgrund der Atmosphäre in der Türkei sind unser Leben und unsere Sicherheit jedoch bedroht.

Statt jedoch die notwendigen Schritte einzuleiten, um diese Atmosphäre zu verändern, handeln sie, als ob wir, die Christen in der Türkei, ein Problem darstellten.

Wie ich in meiner Rede vor der Pressekonferenz offen sagte, behaupten sie, wir Missionare würden „in einer islamischen Umgebung Schnecken verkaufen“.

Wenn es Bedarf gibt, werden wir verkaufen … Zu debattieren, was Tilman Geske in Malatya tat, ist Schamlosigkeit. Die Türkei ist ein demokratisches säkulares Land. Dazu möchte ich nicht zu sehr in Details gehen, weil ich darüber keine Erklärung schuldig bin. Bis jetzt habe ich keine Informationen über die Polizeirazzia von 2005. Ich kann sie nicht bestätigen. Ich habe keinerlei Informationen darüber, was mit dem Unternehmen geschehen wird. Ich kann dazu absolut gar nichts sagen.

Wir werden das Feld behalten. Wir werden bleiben, wo wir sind. Wir sind Bürger der türkischen Republik. Wir werden hier leben. Und wenn wir sterben, wenn wir getötet werden, sterben wir eben. Es gibt keinen Platz, wo wir hingehen können. Wir sind Kinder dieses Landes. Dieses Land gehört uns genauso, wie es den Muslimen gehört. Wir wollen gemeinsam in Frieden leben.

Wir haben keine Probleme, Seite an Seite mit Muslimen oder mit Menschen anderen Glaubens zu leben. Wir wollen zusammen leben, wenn sie uns jedoch töten, wie sie die Christen in Malatya getötet haben, werden wir sterben.

 

Zusätzliches Material:

• Auszug aus der Pressekonferenz vom 19.04.2007 unter Opens external link in new windowwww.youtube.com/watch

• Meldung des Islam-Institutes zur Ermordung von drei Christen in Malatya Opens external link in new windowwww.islaminstitut.de/Vollanzeige-Pressemitteilung.54+M5e4ff5788a7.0.html

• Eine eineinhalbminütige Meldung des türkischen Fernsehsenders ShowTVnet zur Beerdigung von Necati Aydin kann unter Opens external link in new windowwww.youtube.com/watch angesehen werden.