Bonner Querschnitte 17/2021 Ausgabe 688

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WEA bekundet Besorgnis angesichts der Lage in Afghanistan und ruft zum Gebet für die Schwächsten auf, darunter religiöse Minderheiten und Frauen

(Bonn, 17.08.2021) Die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) bringt ihre tiefe Besorgnis über die Übernahme Afghanistans durch die Taliban zum Ausdruck, die in der Vergangenheit für die Verfolgung religiöser Minderheiten, Frauenunterdrückung, Drogenhandel und Menschenhandel bekannt waren. Die WEA ruft die Kirchen und Gläubigen auf, für das Land zu beten, insbesondere für die afghanischen Christen und andere gefährdete Personen sowie für diejenigen, die bereits ins Ausland geflohen sind oder zu fliehen versuchen.

„Wir sind sehr besorgt über die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan und die düsteren Aussichten für all jene, die nicht in das Gesellschaftsbild der Taliban passen. Frauen, die zu denjenigen gehören, die am meisten zu verlieren haben, werden wahrscheinlich wieder daran gehindert werden, grundlegende Rechte zu genießen, einschließlich Hochschulbildung, berufliche Laufbahn und sogar die Freiheit, sich selbstbestimmt zu bewegen. Was weniger bekannt ist, ist die Notlage religiöser Minderheiten, einschließlich der Christen, die in den letzten zwanzig Jahren unter schwerer Unterdrückung gelitten haben und nun noch stärker gefährdet sind“, sagte Bischof Dr. Thomas Schirrmacher, Generalsekretär der WEA.

„Wir sollten nicht so tun, als wäre in Afghanistan alles gut gewesen, bevor die Taliban die Kontrolle über das Land übernahmen. Konvertiten wurden in den Gebieten der ehemaligen offiziellen Regierung getötet, und die Kriegsherren, die einen Teil des Landes kontrollierten und jetzt ihre Macht verlieren, waren auch nicht viel besser“, so Schirrmacher. „In der Verfassung von 2004 wurde festgelegt, dass Afghanistan eine islamische Republik mit dem Islam als Staatsreligion ist, was keinen Raum für Religionsfreiheit im Lande lässt. In Wirklichkeit leiden alle religiösen Minderheiten in Afghanistan und werden jetzt noch mehr leiden – auch muslimische Minderheiten wie die Schiiten und jene Muslime, die zu Nachfolgern von Jesus Christus geworden sind.“[1]

Schirrmacher, der die Vielschichtigkeit der Geschichte und Kultur des Landes hervorhob, wies auch darauf hin, dass die Medien die Situation manchmal zu einfach darstellten, als ob die Taliban nur eine kleine Gruppe von Aufständischen wären, die der Gesellschaft ihren Willen aufzwingen.

„Während es in den letzten Jahren unter der offiziellen Regierung Verbesserungen bei den Frauenrechten und anderen Entwicklungen gegeben hat, wurden diese Veränderungen nicht von allen Afghanen begrüßt. Vielmehr ist festzustellen, dass der Rückhalt der Taliban in der Gesellschaft viel größer ist, als die westlichen Länder annehmen, und dass viele Menschen bei Wahlen sogar für sie stimmen“, so Schirrmacher.

Neben der Unterdrückung religiöser Minderheiten und den Einschränkungen für Frauen, die in vielen der Regionen, die in den letzten Tagen von den Taliban eingenommen wurden, bereits spürbar sind, wird das Land wahrscheinlich wieder eine deutliche Zunahme des illegalen Handels und der Sklaverei erleben.

„Taliban finanzieren sich zu einem großen Teil durch alle Arten von Kriminalität, vor allem durch Drogenhandel und Menschenhandel. Der Verkauf von Mädchen in die Prostitution ist für sie kein Problem, vor allem wenn sie nicht zu ihrer Glaubensgemeinschaft gehören“, so Schirrmacher.

Er rief die Gläubigen zum Gebet auf und sagte: „Unsere Herzen sind voller Schmerz für die vielen Afghanen, die sich nach Freiheit sehnen, aber wieder einmal in ihrem eigenen Land in Angst leben müssen, sowie für die vielen, die als Flüchtlinge in andere Länder geflohen sind und alles zurückgelassen haben. Beten Sie mit uns für unsere Brüder und Schwestern in Christus, damit sie beschützt und ermutigt werden. Die Heilige Schrift erinnert uns daran, dass wir ein Leib in Christus sind und „wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit“ (1. Korinther 12,26a). Und lasst uns für neue Hoffnung für das ganze Land beten, das sich derzeit in einer sehr düsteren Phase befindet.“

 


[1] Die Schiiten sind die größte muslimische Minderheit, insbesondere unter den Hazaras und Qizilbash. Jahrzehntelang versuchten die Taliban, die Hazaras in den von ihnen kontrollierten Gebieten auszurotten, und töteten grundlos Tausende von ihnen. Viele von ihnen werden nun zum ersten Mal unter die Herrschaft der Taliban fallen, darunter auch viele christliche Konvertiten der Hazara, die einer umso größeren Gefahr ausgesetzt sein werden. Außerdem haben die meisten Anhänger muslimischer Sekten wie des Sufi-Ordens Ahl-ehaqq und nicht-muslimischer Religionen das Land bereits verlassen. Diejenigen, die zurückgeblieben sind, leben jedoch in ständiger Gefahr. Dazu gehören Hindus, Sikhs, Buddhisten, Bahai, Zoroastrier, Christen, Atheisten und andere Anhänger säkularer Weltanschauungen. Am stärksten sind diejenigen bedroht, die ihre Religion gewechselt haben – ein grundlegendes völkerrechtliches Menschenrecht – und bei denen es sich zumeist um Muslime handelt, die zu Nachfolgern Jesu wurden. Viele von ihnen gehören kleineren ethnischen Gruppen an, die bereits von den Paschtunen diskriminiert werden, einer sunnitischen muslimischen Volksgruppe, die Afghanistan in der Vergangenheit dominiert hat.

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