Bonner Querschnitte 14/2008 Ausgabe 66

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Der Gottesdienst gehört zum religiösen Existenzminimum

EU-Richtlinie erweitert Abschiebeschutz für verfolgte Christen

Gutachten fordert erweiterten Abschiebeschutz für Konvertiten vom Islam zum Christentum

(Bonn, 02.05.2008) Asylsuchende in Deutschland sollten ein Recht auf Abschiebeschutz oder Asyl auch dann haben, wenn sie ihren Glauben zu Hause allein ungefährdet ausüben können, aber die Teilnahme an einem öffentlichen Gottesdienst lebensgefährlich wäre. Denn das geschützte religiöse Existenzminimum schließt alles ein, was für eine Religionsgemeinschaft unabdingbar ist. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten von Thomas Zimmermanns, das das Internationale Institut für Religionsfreiheit (Bonn, Kapstadt, Singapur) in Auftrag gegeben und der Arbeitskreis Religionsfreiheit der Deutschen und Österreichischen Evangelischen Allianz (AKREF) verabschiedet und veröffentlicht hat.

Der AKREF fordert die Bundesregierung auf, die EU-Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 in deutsches Recht umzusetzen und anzuerkennen, dass private und öffentliche Religionsausübung zum geschützten religiösen Existenzminimum gehören. Er begrüßt zugleich, dass zwei deutsche Gerichte die EU-Richtlinie bereits gegen die bisher in Deutschland übliche Rechtspraxis angewandt haben, da Deutschland die Richtlinie nicht fristgemäß in deutsches Recht umgesetzt habe und sie deswegen nach EU-Recht unmittelbar in Deutschland gelte.

Der Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit, der Religionssoziologe Thomas Schirrmacher, erklärte, dass offensichtlich bereits ein Umdenken beim Gesetzgeber, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und bei etlichen damit befassten Gerichten eingesetzt habe. Es sei aber unverständlich, dass man dies auch vier Jahre nach Verabschiedung der entsprechenden EU-Richtlinie noch nicht durch entsprechende Gesetzgebung und Verwaltungspraxis zur Norm erhoben habe und deswegen die Verwaltungsgerichte mal so, mal so entschieden.

Der Arbeitskreis für Religionsfreiheit der Deutschen und Österreichischen Evangelischen Allianz unter Vorsitz des württembergischen Pfarrers Dr. Paul C. Murdoch setzt sich nicht nur für die Religionsfreiheit weltweit ein, sondern wendet sich auch gegen die Religionsfreiheit einschränkende Entwicklungen innerhalb der Europäischen Union.

 

Sie können die Meldung um folgende Auszüge aus dem Gutachten ergänzen:

Zwar gewährleistet bereits nach deutschem Recht § 60 Abs. 1 S.1 des deutschen Aufenthaltgesetzes Schutz vor Abschiebung, wenn das Leben oder die Freiheit des Betreffenden in dem Staat, in den er abgeschoben werden soll, wegen seiner Religion bedroht ist. Jedoch nahm die bisherige deutsche Rechtsprechung eine solche Verfolgung wegen der Religion nur dann an, wenn dem Betreffenden in diesem Staat das sog. „religiöse Existenzminimum“ nicht zugestanden wird. Zum religiösen Existenzminimum wurde lediglich die private Ausübung des Glaubens gerechnet, etwa in Form von häuslichen Gottesdiensten und Glaubenszeugnis im privaten Kreis, dort wo man sich „unter sich“ wissen darf. Ist in dem Herkunftsland eine solche private Glaubensausübung zulässig, so wurde von der deutschen Rechtsprechung ein Abschiebeschutz verneint.

Das ist in EU-Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 anders. Diese Richtlinie besagt in Art. 10 Abs. 1 b, dass bei der Prüfung der Verfolgung aus religiösen Gründen zu berücksichtigen ist, dass der Begriff der Religion die Teilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich umfasst.

Ihr ist aus christlicher Sicht aufgrund des hierfür maßgeblichen Zeugnisses der Bibel unbedingt zuzustimmen, da zum christlichen Glauben und zur Christusnachfolge wesensmäßig die öffentliche Ausübung des Glaubens gehört. Die öffentliche Ausübung und das öffentliche Bekenntnis des Glaubens ist Teil der missionarischen Sendung, in die Jesus seine Jünger gestellt hat. Die Apostel Petrus und Johannes erklärten dem Hohen Rat, warum sie seinem Befehl, künftig über Jesus Christus und ihren Glauben an ihn in der Öffentlichkeit zu schweigen, trotz Strafandrohung nicht gehorchen können: „Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4,20). Glaube ist also seinem Wesen nach immer öffentlich und keine bloße Privatsache! Droht einem Christen wegen solcher öffentlicher Glaubensausübung Verfolgung, so besitzt er nach der EU-Richtlinie somit Abschiebeschutz.

Was zu diesen wesentlichen Elementen des Glaubens gehört, auf deren – auch öffentliche – Betätigung und Ausübung die Christen nicht verzichten können, bestimmt sich nach dem Selbstverständnis der jeweiligen christlichen Denomination, der der Betreffende angehört. Insoweit haben Exekutive und Jurisdiktion nicht das Recht zu einer eigenen Bewertung und Feststellung. Auch das Bundesverfassungsgericht hat anerkannt, dass der Bereich dessen, was zum rechtlich geschützten Inhalt des jeweiligen Glaubens und Bekenntnisses gehört, nicht vom Staat bestimmt werden darf, sondern nur von der betreffenden Religionsgemeinschaft nach ihrer Lehre und ihrem Selbstverständnis (Beschluss vom 24.10.2006).

Die EU-Richtlinie ist gemäß ihrem Art. 38 Abs. 1 S.1 bis spätestens zum 10.10.2006 durch die einzelnen EU-Staaten in innerstaatliches Recht umzusetzen. Dies ist in Deutschland bislang nicht in vollem Umfang geschehen. Jedoch sieht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vor, dass Richtlinien, die nicht rechtzeitig umgesetzt wurden, nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar zugunsten des einzelnen Bürgers gelten. Zumindest aber sind die betreffenden Rechtsnormen der EU-Mitgliedsstaaten ab diesem Zeitpunkt richtlinienkonform auszulegen. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einer Entscheidung vom 19.10.2006 (A 6 K 10335/04) entschieden, dass einer Frau Abschiebeschutz zu gewähren ist, die aus dem Iran in die Bundesrepublik gekommen war und dort Christin wurde und sich taufen ließ. Im Iran hätte sie ihren christlichen Glauben zwar im privaten Rahmen, nicht jedoch öffentlich leben können. Diese Entscheidung wurde in einem ähnlichen Fall bestätigt durch ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Stuttgart vom 01.06.2007 (A 11 K 1005/06). Es bleibt – trotz des nach dem 10.10.2006 ergangenen gegensätzlichen Urteils des Verwaltungsgerichtes München vom 22.01.2007 (M 9 K06.51034 -) zu hoffen, dass diese Rechtsauffassung dieser beiden Gerichte auch von den anderen Verwaltungsgerichten und deren höheren Instanzen geteilt wird, die derzeit über solche und ähnliche Fälle zu entscheiden haben. Allein auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass Christen nicht in Länder abgeschoben werden, in denen sie bei öffentlicher Glaubensausübung mit Verfolgung rechnen müssen.

 

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