Bonner Querschnitte 11/2019 Ausgabe 575

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Auch 2018 eingeschränkte Religionsfreiheit für Christen in der Türkei

Das IIRF veröffentlicht deutsche Übersetzung des Jahresberichts über Menschenrechtsverletzungen

(Bonn, 27.03.2019) Die Situation der Christen in der Türkei war auch im Jahr 2018 in verschiedener Hinsicht schwierig. Einerseits gab es im Jahr 2018 eine „klare Abnahme von Hassdelikten gegen evangelische Christen in Form von tätlichen Angriffen auf evangelische Christen und Kirchen“. Zugleich gab es aber eine „signifikante Zunahme von öffentlicher Hassrede“ gegen Protestanten, und das „einzig wegen ihres Glaubens“.

CoverNicht selten wurden Christen oder Gemeinden in einem Atemzug mit terroristischen Organisationen genannt, leider häufiger auch mit Namensnennung, Fotos und ähnlichem, obgleich es auch in der Türkei ein Gesetz zum Schutz persönlicher Daten gibt. Viele Christen befürchten aufgrund früherer Erfahrungen, dass solche verbalen Attacken früher oder später doch wieder in tätliche Gewalt umschlagen. 

Im Jahr 2018 setzten sich nahtlos die Schwierigkeiten für ausländische Mitarbeiter oder Gemeindeglieder fort. Etliche wurden ausgewiesen oder durften nicht mehr einreisen, weil ihre Aufenthaltsgenehmigungen nicht mehr verlängert wurden. Der schwierigste Fall war ohne Frage die monatelange Haft und das Verfahren gegen Pastor Andrew Brunson, der über 20 Jahre lang in der Türkei gelebt und als geistlicher Leiter einer Gemeinde in Izmir gearbeitet hatte. Das Verfahren gegen ihn ging durch die internationale Presse, ist aber doch nur die Spitze des Eisbergs.

Auch die Ausweisung von David Byle nach fast 20-jährigem Dienst in der Türkei ist nicht nachvollziehbar. Er hat sich all die Jahre immer penibel an Recht und Gesetz gehalten. Er wurde zwar im Laufe der Jahre häufiger angeklagt, ist aber immer freigesprochen worden. Zuletzt hat man ihm u.a. vorgeworfen, er würde seinen Glauben „besonders intensiv“ leben, was auch nach türkischem Recht kein Vergehen darstellt. Obgleich ein von ihm angestrengtes Verfahren gegen die Entscheidung der türkischen Behörden anhängig ist, scheint es im Moment keine realistische Möglichkeit mehr zu geben, ins Land und zu seiner Familie, die nach wie vor in der Türkei lebt, zurückzukehren. 

Über diese besonderen Schwerpunkte hinaus blieben im Jahr 2018 einige langjährige Themen unverändert auf der Tagesordnung:

  • Es gibt nach wie vor keine offizielle Möglichkeit für die Ausbildung geistlicher Leiter.
  • Die meisten Gebäude und Räumlichkeiten der Gemeinden sind juristisch häufig nur „Vereinslokale“ und kein „Ort der Anbetung“, was eigentlich Voraussetzung ist, um Gottesdienste abhalten zu können. Es gibt aber nach wie vor keine reguläre Möglichkeit, um diesen Status zu bekommen. Der aktuelle status quo ermöglicht es den Gemeinden, in ihren Räumen Gottesdienste zu feiern, aber es ist eine juristische Grauzone.
  • Gemeinden können sich als „Verein“ oder „Stiftung“ registrieren lassen, aber es gibt immer noch keine Möglichkeit, direkt als „Kirche“ juristische Person zu werden.
  • Die Religionszugehörigkeit im Personalausweis steht zwar bei neu ausgegebenen Ausweisen nicht mehr sichtbar auf der Karte, ist aber elektronisch auf dem Chip gespeichert. Dadurch verringert sich vermutlich die Gefahr der Diskriminierung. Christen plädieren aber seit langem dafür, diesen Eintrag im Ausweis gänzlich zu streichen.
  • In Bezug auf den Religionsunterricht bleiben nach wie vor Fragen offen, vor allem die, wie man sich ohne Probleme als Christ vom islamischen Religionsunterricht abmelden kann.

Trotz der vorgenannten Probleme konnten die meisten der ca. 150 evangelischen Gemeinden in der Türkei ihre Gottesdienste und sonstigen gemeindlichen Versammlungen im Jahr 2018 vergleichsweise ungestört abhalten. Die „Vereinigung protestantischer Kirchen“ listet am Ende ihres Jahresberichtes einige konkrete Vorschläge auf, um im neuen Jahr in den anstehenden Fragen voranzukommen. Dazu gehört zentral auch die Bitte an die Behörden auf lokaler wie nationaler Ebene, stärker zum Gespräch mit den Vertretern der protestantischen Gemeinden bereit zu sein: „Die Erfahrungen, die wir machen, zeigen uns ganz klar, dass viele Probleme rasch gelöst werden können, wenn die Kommunikationskanäle geöffnet sind.“

Die „Vereinigung protestantischer Kirchen“ der Türkei gibt seit vielen Jahren einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen des abgelaufenen Jahres heraus. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den evangelischen Christen und Kirchen – nicht, weil orthodoxe oder katholische Christen keine Probleme hätten, sondern nur deshalb, weil man mit den begrenzt zur Verfügung stehenden Mitteln nur die Situation der eigenen Gemeinden seriös und detailliert beurteilen kann. Der Jahresbericht erscheint immer in türkischer und englischer Sprache. Das Internationale Institut für Religionsfreiheit (IIRF) übernimmt den englischen Bericht und erstellt auf dieser Basis eine deutsche Übersetzung.


Downloads und Links:

Dokumente

BQ0575.pdf